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Die zwei Gesichter eines Tanzabends

Ein Verdienst des Ballettintendanten Christian Spuck ist es, dass er jüngere und wenig bekannte Choreografen ans Opernhaus Zürich einlädt, damit sie ihre Uraufführungen inszenieren. Er fördert dabei nicht nur, er fordert auch: für den Ballettabend «Corpus» etwa, dass zur Musik des Orchestra La Scintilla getanzt wird. Dieses entstand aus der Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt und ist auf die historische Instrumentierung und Spielweise von Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert spezialisiert.

Filipe Portugal, mit kurzer Unterbrechung seit 2002 Solist am Zürcher Ballett, profitiert schon seit einiger Zeit von der Möglichkeit, sich im Opernhaus auch als Choreograf zu etablieren. Über ein Dutzend kurze Stücke, meist für die Kolleginnen und Kollegen des Junior Balletts, hat er bereits gezeigt. Nun legt er mit «DisTANZ» erstmals eine 40 Minuten umfassende Kreation vor, die vom Publikum enthusiastisch gefeiert wurde.

Die Begeisterung rührt einerseits daher, dass Portugal zu den Lieblingen des Publikums gehört. Es kennt ihn aus zahlreichen Charakterrollen, in denen er seine Wandlungsfähigkeit immer wieder aufs Neue bewies. Andererseits ist der Portugiese sympathisch, bescheiden, leise – und tänzerisch hoch begabt. Seine Wandlungsfähigkeit und persönliche Bescheidenheit werden ihm aber zu Fallstricken, wenn er als Choreograf arbeitet: Eine eindeutige Handschrift kann man noch nicht klar erkennen.

Jedes Tönchen ein Harmönchen

Nähe und Distanz sind sein Thema an diesem Abend, die Gegenüberstellung von Corpus und Anima, denn ohne die Verbindung von Körper und Geist bliebe der Tanz nur seelenlose Technik. Um Verbindungen familiärer Art ging es Portugal auch bei der Musik. In den Werken von Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann Bach sucht er Nähe und Abgrenzung zum Vater Johann Sebastian.

Die Tänzerinnen und Tänzer verkörpern diese Musik so harmonisch, als wären sie aus dem Notenblatt gepurzelt. Jedem Ton entspricht eine Bewegung, und so, wie die Melodiebögen ineinanderfliessen, übernehmen auch die Tanzenden die ineinandergewobenen Harmonien. Filipe Portugal gruppiert seine Kollegen meist zu Paaren und lässt die Frauen in kaum enden wollenden Hebefiguren durch die Luft wirbeln. Sie verkörpern mal Koketterie, mal Hingabe oder auch Konkurrenz und Wettbewerb – verschiedene Formen der Verbindung von Mensch zu Mensch, in sechs Episoden, die unter einem Themenbogen gebündelt wurden.

Ein grosses Sieb schwebt auch über den Köpfen der Tänzer. Marko Japelj, vielen als kühner Bühnenbildner des slowenischen Choreografen Edward Clug bekannt, hat ein riesiges metallenes Gitter, ein lichtdurchlässiges Paraboloid, in den Bühnenhimmel gehängt, das in verschiedenen Positionen und Beleuchtungen über den Tänzern schwebt. Das sieht fantastisch aus, erhält aber in Portugals Interpretation nur dekorative Funktion. Auch darum bleibt man auf Distanz zu diesem «DisTANZ», der zwar schöne Hebefiguren auf die Bühne bringt, in seiner Gefälligkeit aber über weite Strecken belanglos bleibt.

Ganz anders «Lady with a Fan» von Douglas Lee nach der Pause. Der frühere Solist des Stuttgarter Balletts ist auch für die Kostüme und das mobile Bühnenbild verantwortlich. Die verschiebbaren Elemente seien ein «barocker Baukasten», und tatsächlich entstehen im Laufe der 40 Minuten unterschiedliche Räume, die mal unheimliche Weite, dann wieder kabinettartige Intimität ausstrahlen. Auch Lees Musikwahl verblüfft: Die Violinkonzerte aus Antonio Vivaldis wenig bekanntem Zyklus «La Cetra» wechseln mit Kompositionen des Amerikaners Michael Gordon, die auf den historischen Instrumenten einen unerhört neuen Klang und Charakter gewinnen.

Zwischen Intrige und Unglück

Im Mittelpunkt des düsteren Stücks steht die «Lady with a Fan», inspiriert vom gleichnamigen Ölbild des spanischen Malers Velázquez. Katja Wünsche tanzt diese geheimnisvolle Frauenfigur, deren Identität nur gerüchteweise bekannt ist, als verschlagenes, verstossenes und letztlich tragisches Schlangenwesen, das zwischen Intrige und persönlichem Unglück oszilliert. Wahrscheinlich handelte es sich um die französische Herzogin von Chevreuse, Marie Aimée de Rohan-Montbazon, eine Gegnerin Kardinal Richelieus, die vor diesem nach Spanien geflohen war.

In den sich ständig verändernden Bühnenstimmungen erkennt man Versatzstücke aus der Biografie der Herzogin, wie den Kleider- und Geschlechtertausch, der ihr die Flucht aus Frankreich erleichterte. Oder ihre feingesponnenen Intrigen: Die Höflinge winden sich in puppenhaften Verrenkungen, als stünden sie unter dem Bann der schönen Herzogin, und oft quillt aus diesen Marionetten auch die gefährliche Missgunst der Unterwürfigen, die im Regelwerk des Hofes gefangen bleiben, weil sie es nicht wagen, aufzumucken.

Trotz all dieser Assoziationen bleibt Lees Choreografie atmosphärisch statt narrativ. Die Tänzer sind technisch virtuos und so biegsam, als gäbe es für sie weder Grenzen noch Gelenke. Denn, wenn die Vorgabe stimmt, scheint die Seele des Tanzes die Limitierung der Körper zu überwinden.

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